Krimi um Handball-Lizenz: Entscheiden 66 Minuten über Abstieg des HSV Hamburg? (2024)

Es ist ein Finanz-Krimi, der die Liqui Moly HBL, die stärkste Handball-Liga der Welt, in Atem hält. In der Hauptrolle: Der HSV Hamburg, dem durch die Lizenzierungskommission und dem HBL-Präsidium die Lizenz für die kommende Saison verweigert wurde.

Handball-Bundesliga: Entscheiden 66 Minuten über den HSV-Abstieg?

Auch in den Nebenrollen treten Akteure auf, deren Vorgehensweisen Fragen aufwerfen: Die HBL selbst sowie der akut abstiegsbedrohte Bergische HC. Rund um den Fall kursieren in der Handball-Szene Fragen, Gerüchte, Behauptungen und Verschwörungstheorien. Hier werden die wichtigsten Fragen beantwortet.

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Ist der Zwangsabstieg des HSV besiegelt?

Nein. Am 30. Mai, drei Tage vor dem letzten Saisonspiel des HSV, entscheidet das Schiedsgericht der HBL final darüber, ob die Erstliga-Lizenz für die Saison 2024/25 erteilt wird.

Wie viel Geld fehlt dem HSV?

Die Lizenzierungskommission hatte eine Liquiditätslücke von 4,1 Millionen Euro ausgemacht. Grund dafür waren Verbindlichkeiten im deutlichen siebenstelligen Bereich, laut Sitzungs-Protokoll des HBL-Präsidiums vom 6. Mai nur aus der laufenden Saison.

Die HSV-Verantwortlichen waren von der Höhe der Summe überrascht, rechneten mit rund einer Million, die sie hätten auffangen müssen, da die restliche Summe über andere Verträge bereits abgesichert war. Für die Abdeckung der Million lagen zudem bereits Investoren- und Sponsorenverträge vor.

Weil der Vorgänger-Klub HSV Handball aber 2016 schon einmal insolvent und auch nach dem Neustart 2018 immer wieder wirtschaftlich auf Kante genäht war, reichten die Verträge der Liga nicht. Die Hamburger mussten innerhalb von 16 Tagen 4,1 Millionen nachweislich auf dem Konto haben.

Welche Rolle spielt der Bergische HC?

Der Liga-Konkurrent wollte juristisch erwirken, Einsicht in das Lizenzierungsverfahren zu bekommen. Von BHC-Seite wurde befürchtet, dass den Hamburgern trotz erheblicher finanzieller Lücken die Spielberechtigung erteilt werden könnte.

BHC-Boss Jörg Föste bei Dyn: „Wir hatten den Eindruck, dass das System der Lizenzierungsordnung überstrapaziert worden ist von einem der 36 Klubs – nicht mehr und nicht weniger. Wir haben darauf frühzeitig hingewiesen und haben uns dazu bestellt als direkt Betroffene. Das ist unser Recht als Klub und unsere Pflicht in der Geschäftsführung.“

Bekommt der HSV wirklich die Lizenz nicht wegen eines verspäteten Geldeingangs von gerade mal 66 Minuten?

De facto ja. Bis zum 3. Mai, 12 Uhr, musste das Geld auf dem Konto der HSVH-Spielbetriebsgesellschaft bei der Hamburger Volksbank eingegangen sein. Das war aber erst um 13.06 Uhr der Fall.

Pikant: Laut Sitzungs-Protokoll des HBL-Präsidiums hatte der HSV Hamburg einen Mitarbeiter der Volksbank beauftragt, am 3. Mai kurz vor Fristende am Mittag telefonisch Kontakt zur Lizenzierungs-Kommission aufzunehmen.

Um 11.55 Uhr rief der Vertreter der Hamburger Volksbank bei einem Mitglied der Kommission an und wies darauf hin, dass er „bedauerlicherweise weder den Eingang des im Beschluss vom 17.04.2024 festgelegten Betrages noch eine Verfügungsbefugnis des Handball Sport Verein Hamburg über einen solchen Betrag bestätigen könne“.

Juristisch spielt es keine Rolle, ob die Frist um eine Minute oder eine Woche gerissen wurde. Dies ist umso bedeutender durch die Vorgehensweise des BHC, die klar in Richtung Liga signalisiert hat, dass juristisch alles wasserdicht sein muss. Ein Auge zuzudrücken war dadurch nicht möglich – egal, ob die HBL-Entscheider den Lizenzentzug für angemessen halten oder nicht. Zumal der HSV wie jeder andere Klub auch über ein gesamtes Geschäftsjahr die Möglichkeit hatte, so zu wirtschaften, dass die Lizenz ohne Auflagen erteilt wird.

Der HSV sieht trotzdem gute Chancen, dass das Schiedsgericht die Lizenz doch noch erteilt: Die Überweisung von 4,1 Mio. Euro des Investors Philipp J. Müller wurde bereits am 2. Mai getätigt, der zugehörige Überweisungsauftrag am Donnerstag zur HBL geschickt. Weil zum Beispiel Fotos von Überweisungsaufträgen aber auch gefälscht sein können, reichte das der Liga nicht.

Auf Anfrage teilt sie mit: „Die dem HSV Hamburg mit Schreiben der Lizenzierungskommission vom 17.04.24 erfolgte Lizenzerteilung unter der Voraussetzung der Erfüllung einer Bedingung mit Fristsetzung zum 03.05.2024, 12 Uhr, war mit Fristende nicht erfüllt.

Hierfür wäre der Nachweis der Abdeckung der ermittelten erheblichen Liquiditätslücke in Form von Bankgarantien oder durch Vorlage von Bankguthaben für die Erfüllung der Bedingung erforderlich gewesen. Der HSV Hamburg hat bis zum Ablauf der gesetzten Frist den erforderlichen Nachweis nicht erbracht.“

Wie angespannt ist die wirtschaftliche Situation des HSV wirklich?

Geschäftsführer Sebastian Frecke (38) hatte geplant, den Klub bis 2025 schuldenfrei zu machen. Dieser Plan wurde durch die Forderung der Lizenzierungskommission, die offenbar das Vertrauen in Freckes Vorhaben verloren hat, durchkreuzt. Dennoch soll der HSV durch das 4,1-Millionen-Investment von Müller jetzt nicht nur schuldenfrei sein, sondern rund eine Million Euro auf der hohen Kante haben.

Klar ist aber auch: Die wirtschaftliche Situation galt und gilt als angespannt. Seit dem Wiederaufstieg 2021 haben sich Verbindlichkeiten von knapp drei Millionen Euro angehäuft.

Allein im Geschäftsjahr 2021/22 wird im Jahresabschluss ein nicht durch Eigenkapital gedeckter Fehlbetrag von 1.754.757,79 Euro ausgewiesen. Als Begründung spricht man im Klub von einem „erwarteten Investitionsbedarf“ nach dem schnellen Aufstieg, zusätzlich war die kostengünstigere Sporthalle Hamburg wegen Mängeln an der Dachkonstruktion lange gesperrt.

Lebt der HSV über seine Verhältnisse?

Für die laufende Saison wurden laut „Hamburger Abendblatt“ mit Kosten in Höhe von 5,8 Mio. Euro kalkuliert.

Knapp über 3 Mio. in die Mannschaft plus Trainerstab, damit liegen die Hamburger in etwa auf Augenhöhe mit Vereinen wie Wetzlar, Lemgo oder dem BHC. Potenziell teure Stars wie Torwart Jogi Bitter (41) oder Torjäger Casper U. Mortensen (34) haben bei ihren Wechseln zum HSV große Abstriche beim Gehalt gemacht, um näher an oder in ihrer Heimat spielen und leben zu können. Fast 1,1 Mio. Euro verschlingt der Spielbetrieb, in den u.a. Hallenmieten fallen.

Gibt es personelle Konsequenzen?

Ziemlich sicher. Hinter den Kulissen tobt ein Kampf um Macht, Geld und Posten. Präsident und Teilhaber Marc Evermann hielt an Vize-Präsident Martin Schwalb fest, obwohl der Aufsichtsrat Schwalbs Berater-Vertrag als zu teuer erachtete.

Der Ex-Trainer, der den HSV zum Meistertitel 2011 und zum Champions-League-Sieg 2013 führte, soll angeblich rund 200000 Euro jährlich bekommen. Der Vertrag soll seit über einem Jahr ausgesetzt und inzwischen sogar gekündigt sein. In der Handball-Szene hält sich hartnäckig das Gerücht, dass Investor Müller seinen Einstieg auch daran geknüpft hat, dass sich der HSV effizienter aufstellt – ohne Schwalb.

Klar, dass auch Frecke unter Beobachtung steht, der als angestellter Geschäftsführer die Gesamtverantwortung trägt. Viele im Verein fragen sich aber vor allem, warum Schatzmeister Stephan Harzer nicht viel früher vor dem Ernst der wirtschaftlichen Lage gewarnt hat.

Wie geht es nach dem 30. Mai weiter?

Bleibt es dabei, dass der HSV keine Lizenz bekommt, sind die 40 Angestellten (Spieler, Trainer, Geschäftsstelle) ihre Jobs los. In der 2. Liga würde der HSV definitiv nicht starten, der 17. der 1. Liga (BHC) und der 17. der 2. Liga (Vinnhorst) wären gerettet. Hamburg hat eine Lizenz für die 3. Liga beantragt, könnte aber auch in der 4. Liga spielen, wo die zweite Mannschaft aktiv ist.

Erteilt das Schiedsgericht dem HSV doch noch die Lizenz, gilt als sicher, dass der Bergische HC dagegen klagen wird. Einen vergleichbaren Fall gab es 2014: Auch damals erhielt der Vorgängerverein in dritter Instanz die Lizenz.

Der sportliche Absteiger Balingen klagte, gewann und die HBL musste im Folgejahr mit 19 Mannschaften ausgetragen werden. Viele Szene-Kenner halten das nun wieder für ein wahrscheinliches Szenario.

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